Das Nilpferd im Schaufenster

Heidelbergs Altstadt ist, wie es so schön heißt, „das Herz und die historische Mitte“ der Romantik-Perle am Neckar. Über das ganze Jahr hinweg, gerade aber jetzt im Sommer zieht sie Tourist*innen aus aller Welt magisch an. Auch wenn einem das Idyll mitunter empfindlich auf den Zwirn gehen kann, muss ich ja zugeben… hübsch ist es schon. Der Fluss, die Berge, das Schloss, die verwinkelten Gässchen: es gibt für Besucher*innen einiges zu sehen und zu erleben. Und mittendrin, in einem kleinen Tabakladen bei der Heiliggeistkirche, steht ein Nilpferd im Schaufenster.

Okay, ich muss mich entschuldigen, das war geschwindelt. Es gibt natürlich nicht wirklich ein Nilpferd im Schaufenster  zu bestaunen. All denjenigen, denen wie mir selbst das Nilpferd in der Achterbahn aus dem gleichnamigen Spiel in den Kopf geschossen ist, muss ich leider kleinlaut gestehen: Eine so putzig-positive Assoziation ist hier gänzlich fehl am Platze. Im Grunde muss ich mich nicht nur bei allen, die diese Zeilen lesen, sondern auch bei sämtlichen Nilpferden entschuldigen. Sie haben es eigentlich nicht verdient, mit etwas so Zweifelhaftem wie dem betreffenden Schaufenster-Inhalt in Verbindung gebracht zu werden.
Insofern: offizielles Sorry von meiner Seite, liebe Hippos, dass ich euch hier schamvoll als Platzhalter missbrauche!

De facto geht es um etwas anderes mit dem Buchstaben „N“ Beginnendes. Es handelt sich um eine mehr als nur uncharmante, Tonnen von ungeilem begriffshistorischem Ballast mit sich schleppende Bezeichnung für Menschen dunkler Hautfarbe. Ich denke, ihr kommt drauf.

So unangemessen dieses Wort generell ist, so treffsicher betitelt es leider das, was lebensgroß in besagtem Schaufenster steht: hélas, nicht die Figur eines Menschen mit dunkler Hautfarbe, sondern die eines Nilpferds. Weswegen sie definitiv nicht dort stehen sollte.

Man kann da sicherlich drüber diskutieren. Hab ich dann spaßeshalber auch gemacht.

Mein geschätzter Mitdiskutand argumentierte natürlich erst einmal damit, dass so eine Figur niemandem wehtut. Das hätte ja null Auswirkung auf jetzt und real existierende Personen, sei quasi eher ein historisches Relikt. Ich so: „Na, das kann man von Hakenkreuz-Flaggen auch behaupten, und die hisst du doch auch nicht auf deinem Balkon!“

Obwohl er letzterem Punkt glücklicherweise zugestimmt hat, erwiderte er gleich, sein Großonkel habe aber tatsächlich noch eine alte Hakenkreuz-Flagge auf dem Speicher liegen. Eben als Überbleibsel dieses unrühmlichen Abschnitts der Geschichte, was er völlig unproblematisch fände.

Na gut. Ich kann mir zwar andere Dinge vorstellen, die man mit solchen Flaggen anstellen könnte. Wie wäre es z.B. damit: sie in klitzekleine Stückchen zerfetzen, aus denen man dann eine Friedenstaube häkelt? Aber meinetwegen. Warum nicht auch feinsäuberlich bis zur Unkenntlichkeit zusammengefaltet, in einer Kiste unter tausend anderen Kisten in der allerhinteresten Ecke des Speichers verstauben und vergilben lassen? Bisschen unkreativ, aber ich lasse es mal durchgehen.

Auf den Nilpferd-Fall übertragen fände ich es in Ordnung, wenn die Besitzerin des Tabakladens sich die Figur in den Schuppen stellt, gewissermaßen als Souvenir schlechterer Tage. Gleich hinter die Geräte, mit denen sie sorgsam den weitläufigen Garten ihres Weststadt-Grundstücks pflegt.

Wenn dann ihre Enkelkinder zu Besuch kommen und über die Wiese tollen, kann sie sie mit geheimniskrämerischer Miene in den Schuppen führen und ihnen das Machwerk zeigen. Ihnen davon erzählen, dass, sagen wir einmal: ihre eigene „Großmama“ (mit Betonung auf der letzten Silbe) so etwas allen Ernstes noch im Laden stehen hatte:

„Guckt mal, Fritz-Luca und Klytämnestra-Sophie, wie scheiße die Leute damals noch drauf waren! Könnt ihr euch das vorstellen? Denkt mal, ihr würdet im nächsten Schaufenster ein Plakat sehen, auf dem steht: Ihr Weißen seid nichts als unzivilisierte Bimbos!?“ (Eine echte Weststadt-Großmutter würde sich selbstredend gesitteter ausdrücken.)

Aber mitten im öffentlichen Raum… bräsig zur Schau gestellt im Fenster… eines Tabak-Geschäfts?!
Ich bin geneigt so was wie „Merkste selbst, ne?“ zu schreiben, aber ganz offensichtlich merkt es die betreffende Person nicht.

Also versuche ich es noch einmal anders. Ich würde eine solche Figur aus so ziemlich demselben Grund nicht an einem solchen Ort platzieren, aus dem ich die ganze Zeit von einem Nilpferd rede. Bzw. eben nicht von einem anderen N-Wort.

Ich gebe offen zu, dass ich die N-Wort-Debatte nicht bis in ihre äußersten Verästelungen hinein verfolgt habe. Das brauche ich aber auch nicht, um zu verstehen, dass dieses Wort, wiewohl historisch belegt und aktuell existent, nichts in meinem aktiven Vokabular verloren hat. Ich kann es irgendwo in meinem hinteren Oberstübchen archivieren, aber nicht hervorholen und verwenden.

Ich bin mir zu fast 100% sicher, dass auch die Tabak-Dame keineswegs skrupellos das N-Wort aussprechen würde. Und zwar nicht nur, weil es irgendwie unfein klingt. Nicht aus bloßer „political correctness“, aus einer übertriebenen Etikette für Leute, die nichts Besseres zu tun haben als sich mit Nichtigkeiten zu beschäftigen. Sondern weil es eine reale Beleidigung und Verletzung ist, die eine viel zu lange Geschichte nicht nur rhetorischer Verletzungen in sich trägt.

Worte transportieren und konservieren die Wirklichkeit, zu der sie gehören. Worte sind Bilder der Wirklichkeit, die nicht allein abbilden, wie sie „schon immer“ gewesen ist, sondern die auch und vor allem mitbilden, wie sie jetzt ist und sein kann. Umgekehrt sind figürliche Darstellungen auch Aussagen. Sie haben eine Bedeutung, mit allen vergangenen wie gegenwärtigen Konnotationen und Zusamenhängen, die diese Bedeutung mit ausmachen.

Wenn ich also bestimmte Dinge niemals von Menschen sagen würde, warum sollte ich sie ihnen dreist als Figur vor die Nase halten?

Solange wir noch nicht in jenem fernen Utopia leben, in dem Rassismus endgültig passé ist,  und eigentlich selbst dann noch, würde ich mir eine weniger menschenfeindliche Schaufenster-Deko inmitten des Altstadt-Idylls wünschen.

Ein sympathisches Nilpferd zum Beispiel.

 

 

Ich like euch! oder: Sympathie bekunden im Non-Internet

„Hoffentlich wirkt mein freundlich gemeinter Blick nicht wie ein aufdringliches Haifisch-Grinsen!“, denke ich, als ich an dem dreiköpfigen Nerd-Gestirn vorüberschlendere.
[Nur damit diesbezüglich keine Zweifel aufkommen: „Nerd“ ist für mich hauptsächlich deskriptiv, mit einer gewissen Tendenz zur positiven Konnotation.]
Im ersten Moment halte ich die jungen Leute für Gothics – alternder Simplicissimus, der ich bin. Als ich noch jung war (…), hätte ich mit dieser Einordnung vielleicht richtiggelegen. Aber heutzutage gibt´s ja noch Emos (oder schon nicht mehr?), Cyberpunks und weiß der Henker was noch. Was oder wer auch immer die drei sein mögen, ich jedenfalls mag sie. Ich finde sie auf Anhieb sympathisch und würde das gerne irgendwie zeigen.

Null Problemo, für solche Fälle habe ich schließlich eine super Lösung parat. Wie durch Geisterhand, tatsächlich aber auf meinen mentalen Befehl hin erscheint über meinem Kopf dezent und doch gut erkennbar ein Hologramm des nahezu universal bekannten Daumens nach oben in blau und weiß.
Die drei wissen nun Bescheid: „Ah cool, der liket uns!“
Sie lächeln zurück.

Ach nee, warte – leider doch nicht.

In Wirklichkeit bleibt die Situation unaufgelöst. Ob das Trio sich von mir ange- oder doch eher meiner Absicht entgegen belächelt fühlt? Ich werde es niemals herausfinden, schätze aber die Chancen für letzteren Fall als relativ hoch ein. Alles nur, weil noch niemand diese mental steuerbare Hologramm-Like-Funktion für den Alltag erfunden hat! Oder zumindest etwas Ähnliches.
Was mir völlig unverständlich ist, denn ich könnte so etwas sehr gut gebrauchen.

Ich gerate nämlich des Öfteren in solche Situationen.
Besonders oft wiederum mit Leuten, die ein bisschen „anders“ sind und das in irgendeiner Weise nach außen tragen. Oder sich schlicht nicht darum scheren, ob jemand ihr „Anderssein“ wahrnehmen könnte. Menschen aus bestimmten Subkulturen mit entsprechenden Looks, wie die erwähnten Gothics (oder Emos oder so…). Lesbische oder schwule Paare, die Händchen halten und turteln. Menschen, gerade Frauen, die sich so anziehen, wie sie lustig sind und sich in ihrem Körper wohlfühlen, so wie er ist. Auch wenn die lookism-Polizei immer und überall Streife fährt und jede ihrer Eigenschaften mit einem angewiderten „zu“ brandmarkt. Zu dick, zu dünn, zu haarig, zu viel, zu wenig, zu nuttig, zu bieder.

Nun gibt es leider zwei Probleme mit mir, solchen Begegnungen und dem Versuch, irgendwie meine Sympathie und Grundsolidarität diesen Leuten gegenüber zu zeigen.

Problem No.1:
Ich sehe aus wie jemand, der seinen kleinen Lattenschuss auf eher unextrovertierte Weise pflegt: langweilig. Spießig bisweilen.
Vielleicht bin ich ja in nicht allzu ferner Vergangenheit noch in schwarzer Gewandung mit dickem Kajal-Strich um die finster blickenden Augen an Pfingsten durch Leipzig getrottet, wo mir Jugendliche mit gebührendem Abstand „Leichen! Erde! Patchouli!“ hinterherriefen.
Mag sein, dass ich in den Augen einiger mindestens ebenso deviant bin wie Frauen- oder Männerpaare.
Möglicherweise bin ich auch eines dieser fast schon klischeehaft dicken, plumpen Kinder, die wegen ihres Dickseins von Mitschüler*innen, Sportlehrern und anderen unangenehmen Zeitgenoss*innen gehänselt und vorgeführt wurden.
[Ohne hier zu viel verraten zu wollen: all das trifft zu.]
Es kann also sein, dass ich nicht unbegründetermaßen eine gewisse Nähe zu den beschriebenen Personen fühle. Aber man sieht mir diese Nähe nicht an.

Problem No.2:
Die betreffenden Leutchen machen sicherlich häufig die Erfahrung, schief angeguckt zu werden. Es ist ihnen daher nicht zu verdenken, wenn sie im Zweifelsfall davon ausgehen, dass auch ich ein Schiefgucker bin. Umso mehr habe ich deswegen das Bedürfnis, ihnen eine kleine anerkennende, wohlwollende Geste von Mensch zu Mensch zu senden. Nichts Hochtrabendes, keine gönnerhafte Toleranz-Demonstration, die eigentlich nur mich als ach so tollen, weil eben toleranten Typen herausstellen soll. Einfach ein bescheidenes „Thumbs up, Mitmensch!“. Das real-life-Äquivalent zum Facebook-Like halt.

Also… gibt´s dafür ´ne App? Kann man da nicht mal was machen?!

Freie Fahrt

Viel zu früh am Morgen. Ich sitze im Zug nach München.

Auch wenn ich ebenso großzügig wie treffsicher bereits meinen zweiten Kaffee auf den weißen Partien meines Rucksacks verteile, bin ich doch denkbar weit vom Wachzustand entfernt. Nicht gerade der beste Moment, mich auch nur nach so etwas Simplem wie meinem Befinden zu fragen.
Einmal ganz zu schweigen von komplexeren Fragen wie denen nach meinem Glauben, meinem Zugehörigkeitsgefühl zu dieser oder jener Gruppe oder meinen alltäglichen Lebenspraktiken und was ich damit ausdrücken will (oder auch nicht).

Der jungen Frau hinter mir geht es da ähnlich. Jedenfalls klingt ihre Stimme sehr müde, so als würde sie eine Mütze Schlaf jedem Gespräch vorziehen. Aber leider wird das nichts mit dem Schlafen, denn sie hat einen entscheidenden „Fehler“ gemacht: Sie trägt ein Kopftuch.
Und so wird die junge Frau von einer nicht mehr ganz so jungen Frau ausführlich dazu befragt, was es denn so mit „ihrer Kultur“ auf sich habe, mit dem Kopftuch, dem muslimischen Glauben, den Gepflogenheiten ihrer „Landsleute“. (Ob die nicht mehr ganz so junge Frau sich dessen bewusst ist, dass es ziemlich viele Länder gibt, in denen Muslime leben und Kopftücher getragen werden? Deutschland z.B.?)
Die Fragende versichert in jedem dritten Satz, wie „total interessiert“ sie ist und wie froh, endlich einmal jemandem direkt ihre vielen Fragen stellen zu können. Ihre unfreiwillige Interviewpartnerin ist bestimmt etwas weniger froh darüber, antwortet aber tapfer, geduldig und freundlich. Auch der anderen Dame könnte man keineswegs vorwerfen, dass sie nicht nett und freundlich wäre. Summa summarum: ein freundliches Zuggespräch, initiiert von jemandem, die es bestimmt nicht böse meint, sondern wahrscheinlich einfach Dinge verstehen will, die ihr bislang eher fremd waren.

Ich habe daher nicht die Absicht, über besagte Dame bzw. deren Verhalten zu meckern. Vielleicht habe ich aber in diesem Zug-Moment eine kleine Einsicht. Darüber, was dieser ominöse Begriff „Privileg“ konkret bedeuten könnte.

Dazu erst einmal ein kleiner Einschub:
Immer wieder begegnet mir die Rede vom „Privileg“ oder vom „privilegiert-Sein“. Dem Privileg der Weißen gegenüber den Nicht-Weißen beispielsweise. Klar, ich sehe wo der Hase hinläuft, und dass mensch dem kaum widersprechen kann. Dennoch habe ich in der Regel den Impuls, dieses „privilegiert-Sein“ weit von mir zu weisen, und die Tendenz, mich ein wenig beleidigt darüber zu fühlen, dass jemand „Privilegien“ auch nur von fern mit mir in Verbindung bringen könnte. Ich glaube, damit bin ich nicht allein.

Das wiederum dürfte an den Assoziationen liegen, die diese Begriffe wecken:
Bei „privilegierten“ Menschen denken wohl die meisten von uns 1. an eine Art Jet Set-Lifestyle. An Rumlümmeln auf der Yacht bei Saint-Tropez, Abendessen mit Scheichs in Dubai (Verhandlungen über Luxus-Immobilien inklusive), Skifahren in Ischgl auf diamantbesetzten Brettern usw. usf. Und wer hat das schon?! Die Geissens vielleicht.
„Privilegiert“ klingt 2. nach der Art von Leuten, denen immer schon der Goldstaub völlig unverdientermaßen in den Popo geblasen wurde. Nach denen, die niemals haben Kämpfe ausfechten oder sich für irgendetwas anstrengen müssen. Und wer ist schon so jemand oder will als so jemand gesehen werden?! Eben

Aber vielleicht geht es bei „Privilegien“ ja um eine Art von Luxus, der so unscheinbar ist, dass wir ihn gar nicht erst als solchen betrachten?
Ein Luxus, wie ich ihn – im Unterschied zu der Frau mit dem Kopftuch – gerade genieße: Den angenehmen Umstand, einfach mal ungestört von A nach B zu gelangen. Ohne schiefe oder auch nur neugierige Blicke. Ohne doofe Sprüche oder eklige Anmachen. Auch ohne wohlgemeint-interessierte Nachfragen.
Einfach mal ungestört von A nach B fahren. Nicht nur auf Bahnreisen, sondern auch unterwegs zu anderen Zielen, die ich erreichen möchte.

Ungestört sein, das heißt und liegt daran, dass ich niemandem groß auffalle. Oder noch genauer gesagt: dass ich niemandem als „anders“ oder „besonders“ auffalle.
Kein einzelnes Merkmal drängt sich so dermaßen in den Vordergrund, dass es den gesamten Menschen dahinter verschwinden, weil zu einer Art Außerirdischem werden lässt.
Der unbewusste Scan meiner Mitmenschen ergibt in der Regel, dass an mir nichts „verdächtig“ Andersartiges ist. Meine Mitgliedschaft im Club der normalen, ergo für zurechnungsfähig und halbwegs berechenbar gehaltenen Menschen wird daher nicht weiter hinterfragt.
Ich bin eine in diesem Sinne nicht fragwürdige Person, und so lässt man mich prinzipiell problemlos das tun, was Mitglieder des normale-Leute-Clubs eben zu tun pflegen. Arbeiten oder studieren. Wohnungen mieten oder Häuser kaufen. Heiraten und Familie gründen. Alle möglichen Gebäude oder die Toilette meiner Wahl betreten und sämtliche Stockwerke erreichen. Sogar ohne fremde Hilfe. Eine Meinung haben und diese äußern. Sogar mit der echten Chance, Gehör zu finden. Meine Projekte in die Tat umsetzen. Oder auch mal Zug fahren.

Wie gesagt ist das IN DER REGEL für mich so. Je nach Kontext können schließlich schon Kleinigkeiten ausreichen, um eine Ausnahme von dieser Regel zu „provozieren“. Nicht völlig irgendwelchen Körperidealen zu genügen, beispielsweise.

Wie auch schon gesagt laufen die beschriebenen Dinge des Alltags für mich PRINZIPIELL problemlos.
Was keineswegs heißt, dass nicht doch unterwegs Schwierigkeiten und Hindernisse auftauchen können. Wie das ja auch bei der Bahn immer wieder einmal passieren kann: Es kann Verspätungen und verpasste Anschlusszüge geben, oder man kann sich in der allmorgendlichen motorischen Verpeiltheit mit Kaffee bekleckern. Genau so kann jede*r von uns, unabhängig von irgendwelchen Eigenschaften, auf der Arbeit, in der Freizeit, in zwischenmenschlichen Beziehungen Chancen verpassen oder erst gar nicht geboten bekommen. Aus unerfindlichen Gründen ausgebremst werden oder sich selber im Weg stehen.

Ich habe also keineswegs einen absoluten Freifahrtschein für alles, erst recht nicht direkt ins Glück. Aber im Vergleich zu vielen, vielen anderen Menschen genieße ich doch in vielen, vielen Situationen freie Fahrt.

Feine Unterschiede

Da habe ich doch mal wieder was dazu gelernt: nämlich dass die Pfälzer*innen ein offenes, freundliches Völkchen zu sein scheinen.

Zumindest haben sie wohl keine Probleme damit, wenn jemand sich in einem Café oder einer Kneipe zu ihnen setzt. Meine Gesprächspartnerin und ich sind uns einig, dass das ja wohl von Region zu Region unterschiedlich üblich ist. Und dann natürlich nicht nur von Region zu Region, sondern auch von Land zu Land, füge ich hinzu. Das ist in Frankreich noch mal anders als in England oder Mexiko oder Botswana, klar.

 

Schon sitze ich im Fettnäpfchen. Oder auch im Töpfchen der unschuldig Doofen.

Wenn innerhalb Deutschlands die Leute in verschiedenen Regionen unterschiedlich reagieren, dann verhalten sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht sämtliche Menschen überall in Frankreich oder Botswana gleich. Den Gedanken hätte mir allein schon die Logik aufdrängen können. Oder mein Wunsch nach Differenziertheit, den ich durchaus besitze.

 

Dennoch lag meine Reaktion genau so nahe wie dieser logische Schluss, womöglich sogar näher. In solchen Situationen scheint eine andere Logik zu greifen, ein anderer quasi-automatischer (aber vielleicht nicht entautomatisierbarer?!) Denk-Mechanismus:

Der (bewusst) gewünschte differenzierte Blick scheint sich allzu oft nur auf sich selbst, das Bekannte, die Gruppen, zu denen man gehört, zu richten. Das Andere, Unbekannte, Ungewohnte, Ferne scheint diesem Blick (unbewusst) zu etwas Homogenem zu verschwimmen.

 

Das Eigene: eine komplexe 3D-Landschaft, nach außen hin an ihren Grenzen immer weiter ausufernd, in sich immer feiner verästelt und verzweigt. Mindestens so wie Westeros und Essos im Vorspann zu „Game of Thrones“, untermalt von einer heroischen Titelmelodie.

Das Andere: plane Fläche, bestenfalls

Schlimmstenfalls amorphe Masse, die irgendwie – man weiß es nicht so ganz – auf einen zuzuwabern scheint und – auch das kann man nie wissen – dabei eine Bedrohung darstellen könnte. Und wenn es nur eine Bedrohung der eigenen Bequemlichkeit ist, die im höchst einförmigen Plural daherkommt:

Die Flüchtlinge. Die Frauen. Die Veganer. Die Homos. Die Behinderten. Die Muslime.

 

Und dann auch noch diese Fragen, diese nervtötenden Fragen, die sich mir, dir, uns dabei vielleicht stellen… Wollen DIE was von mir? Was wollen DIE denn bloß? Muss ich mich DAMIT jetzt auch noch auseinandersetzen?!?